Stand: 03.06.2015 08:20 Uhr
Vier Tage nach seiner Wiederwahl hat FIFA-Präsident Blatter seinen Rücktritt angekündigt - mit einer vagen Begründung. Eine plausiblere Erklärung kommt aus den USA: Laut Medienberichten ermittelt das FBI in der Korruptionsaffäre nun auch gegen Blatter.
Am Morgen nach der Rücktrittsankündigung des gerade erst wiedergewählten FIFA-Präsidenten Sepp Blatter geht die Suche nach den Gründen für die überraschende Entscheidung weiter. Er selbst hatte bei seinem Auftritt vor der Presse kein konkretes Motiv genannt. Er führte lediglich an, dass er nicht das Mandat der gesamten Fußballwelt habe und zugleich die FIFA eine tiefgreifende Strukturreform brauche. Was seine Einschätzung seit der Wiederwahl vier Tage zuvor verändert hatte, ging aus seinen Worten nicht hervor.
Eine mögliche Erklärung für die Entscheidung Blatters lieferten in der Nacht US-Medien. Die Nachrichtenagentur Reuters, die "New York Times" und der Fernsehsender ABC berichteten übereinstimmend, dass im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal beim Weltfußballverband die US-Bundespolizei und die US-Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Blatter aufgenommen hätten. Die US-Justiz wollte sich auf Anfrage des ARD-Hörfunkstudios Washington nicht zu den Berichten äußern. Auch das FBI verweigerte Kommentare zu dieser Frage.
Vor einer Woche waren auf Antrag von US-Behörden sieben hohe FIFA-Funktionäre in Zürich festgenommen worden - darunter mehrere Stellvertreter Blatters. Sie gehören zu insgesamt 14 Verdächtigen, gegen die in den USA wegen Korruption ermittelt wird. Die Vorwürfe drehen sich um die Annahme von Bestechungsgeldern von mehr als 100 Millionen Dollar. Darüber hinaus ermitteln die Schweizer Behörden wegen Bestechungsvorwürfen im Zusammenhang mit der Vergabe der Weltmeisterschaften nach Russland 2018 und Katar 2022.
Bislang hatten die Justizbehörden stets erklärt, dass Blatter nicht selbst zu den Beschuldigten gehöre. Das hatte US-Justizministerin Loretta Lynch vorige Woche betont. Gestern teilte die Schweizer Bundesanwaltschaft abermals mit, dass der FIFA-Präsident kein Beschuldigter sei. Sein angekündigter Rücktritt habe keinen Einfluss auf das laufende Strafverfahren. Heute ergänzte das Schweizer Bundesamt für Justiz, dass die US-Behörden bislang nicht um Hilfen bei möglichen Ermittlungen gegen Blatter gebeten hätten. "Er ist nicht Gegenstand der Ersuchen aus den USA", sagte ein Sprecher des Bundesamts.
Gestern war allerdings der FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke bereits ins Visier der Anti-Korruptionsermittler geraten - und damit ein enger Vertrauer Blatters. Dies könnte ebenfalls die Entscheidung des FIFA-Präsidenten beeinflusst haben. ARD-FIFA-Experte Philipp Sohmer sagte im Gespräch mit Tagesschau24, es sei "sehr wahrscheinlich", dass die aktuellen Ermittlungen der Grund für den Rücktritt seien. "Aus Quellen ist zu hören, dass eventuell sogar auch Blatters Anwälte ihm dazu geraten haben könnten, dass er sich als Privatmann besser verteidigen könnten, falls er denn in den Fokus der Ermittler rückt, als wenn er noch im Amt wäre."
ARD-Korrespondent Daniel Hechler erinnerte im Nachtmagazin, dass bereits am Wochenende bekannt geworden war, dass neue Zugriffe drohen. Womöglich sei Blatter selbst nie käuflich gewesen, aber er habe von Korruption gewusst und diese geduldet und das System ermöglicht. "Genau deswegen will das FBI auch seinen Kopf", sagte Hechler.
In den Tagesthemen verwies ARD-FIFA-Experte Jochen Leufgen darauf, dass Blatter auch nach seiner Rücktrittsankündigung noch mehr als ein halbes Jahr im Amt bleibe. Dies verschaffe ihm Zeit, einen möglichen Nachfolger in Position zu bringen - schließlich habe der Schweizer noch sehr viele Freunde im FIFA-Vorstand. "Dass ein Nachfolger möglicherweise auf seinen Spuren weiterwandelt, kann auch nur im Interesse von Joseph Blatter sein, dass möglicherweise dann, wenn ein neuer Mann an der Spitze steht, eben retrospektiv nicht alles ans Tageslicht kommt", sagte Leufgens.
Blatters Tochter Corinne Blatter-Andenmatten bestritt unterdessen, dass es einen Zusammenhang zwischen den Korruptionsermittlungen und dem Rücktritt gebe. "Mit dieser Entscheidung wollte er in erster Linie auch uns, seine Familie, schützen", sagte sie der Schweizer Zeitung "Blick". Die Entscheidung habe "nichts, aber auch gar nichts mit den kursierenden Anschuldigungen zu tun".
Der neue FIFA-Präsident soll voraussichtlich bei einem Sonderkongress des Weltverbands zwischen Dezember 2015 und März 2016 gewählt werden. Gemäß den Statuten des Weltverbands sind mindestens vier Monate zur Vorbereitung eines Wahlkongresses notwendig. Der nächste reguläre FIFA-Kongress ist erst für den 12. und 13. Mai 2016 in Mexiko-Stadt vorgesehen. Die Organisation des Wahlkongresses soll der FIFA-Funktionär Domenico Scala überwachen. Blatter selbst will allerdings seine Amtsgeschäfte keinesfalls ruhen lassen, sondern die Zeit nach eigenen Angaben nutzen, um Strukturreformen durchzusetzen.
Der Tag nach Blatters Rücktrittsankündigung
H.-J. Maurus, ARD Zürich
03.06.2015 10:04 Uhr
Neuester Kommentar von 'MickM' am 03.06.2015 12:52 Uhr